Kleine Zeitung, 02.08.2004 Tief bewegend: "Lullaby" und das Heimweh nach sich selbst Ernst M. Binders "Liebeserklärung an die Welt" lotet Verzweiflung und Schmerz aus: ein großartiger Kontrapunkt und Highlight bei "La Strada". Weit gefehlt, wer sich Zigeunerromanzen und Geigenschmalz erwartet. "Gipsy's Lullaby" zieht in die Gegenrichtung, schildert Tod und Vertreibung, vergegenwärtigt am Schicksal einer Überlebenden im Kosovo-Krieg den Exodus von tausenden Menschen: Von Indien nach Dachau bis zum Stacheldraht an der Grenze in New Mexico führt "the road of gipsies", der Weg ins Ungewisse - mit Zapfsäulen (Bühne: Angelika Thon) an denen die letzten Tropfen Sehnsucht und Hoffnung getankt werden. Vogelfrei und einsam. Vogelfrei und einsam steht Natasa Mirkovic-De Ro bei der Uraufführung im Hof des Grazer Landesmuseums Joanneum und beklagt "diese Leere zwischen mir und mir". Neben sich die Ziege angebunden, die den Panzeranschlag auf ihr Dorf ebenfalls überlebt hat. Eine grandiose Sängerin und Schauspielerin, die in den Bann zieht und über den sperrigen Text ein emotionales Netz spannt. Grenzgänger Ernst M. Binder verlangt dem Publikum in seinem dramatisierten Gedicht, das "vom Heimweh nach sich selbst" erzählt, ganze Konzentration ab. Kunststück. Matthias Loibner - mit Drehleier und im blauen Tankwart-Overall - liefert ein musikalisches Kunststück: Kompositionen in einem Guss, die mit klassischen Elementen und knappen folkloristischen Auflockerungen dem Wiegenlied "Lullaby" düsteren Grundton und Hoffnungsschimmer verleihen. Exzellent die Streicher und Männerstimmen. Musik und Gesang der beiden vom "Sandy Lopicic Orkestar" bekannten Künstler tragen die außergewöhnliche Produktion. Elisabeth Willgruber-Spitz