Im Haydn-Delirium Haydn ist gerade auch dort zur Vollform aufgelaufen, wo es um wirklich abartige Instrumente ging. Zum Beispiel um "Lire organizzate", die Kreuzung von Radleier und Orgel. Er lieferte Musik nach Neapel. Von Reinhard Kriechbaum 25/05/07 Weit und breit gab es nur einen Menschen, für den je Orgelleier-Originalliteratur geschrieben wurde: den neapolitanischen König Ferdinand IV. Haydn nahm die Sache als Herausforderung, nicht als kompositorischen Gelderwerb. Wenn nun Matthias Loibner und Thierry Nouat auf zwei Nachbauten eines Instruments aus dem Victoria and Albert Museum sich erfindungsreich dem kammermusikalischen Dialog widmen, fehlt es ergo nicht an Reiz. Da schwebt der Saitenklang über dem Orgelgedackt, sanft und seidig. Ein kleiner Magazinbalg erlaubt aber auch, dass kurze Phrasen wie auf einem echten Örgelchen gespielt werden. Und Leier allein geht natürlich auch. Im Konzert in C-Dur, Hob VIIh:1, stehen die beiden "Lire organizzate" einem kleinen Streichorchester mit zwei Hörnern gegenüber. Im Notturno Nr. 3 Hob II:32 sind die beiden Geigenstimmen durch Klarinetten ersetzt, was im Dialog mit den Orgelleiern zusätzliche dialogische Möglichkeiten bringt. Die Aufnahme macht aber auch mit dem "Nachleben" solcher Stücke bekannt, denn Haydn war es wohl zu schade, sie bloß in königlichen Amateurhänden zu wissen. So hat er beispielsweise einige Notturni auch mitgenommen nach England, natürlich in Bearbeitung für "echte" Instrumente. Das Notturno Nr. 8 Hob II:27 lernt man so in einer repräsentativen Fassung für Flöte und Oboe kennen - eine Abwechslung, für die heutige Hörer durchaus dankbar sind, so possierlich auch die Orgel-Leiern sich in die Ohren schmeicheln. Auch das Baryton war eine zu Haydns Zeit gerade noch lebendige Streicher-Eigentümlichkeit. Christophe Coin spielt auf dieser CD mit seinen Kollegen vom Quatuor Mosaiques und dem Ensemble Baroque de Limoges zwei Divertimenti in Oktett-Besetzung: Sinnlich ausgearbeitet wird da gerade der dunkle Klang, denn Haydn wusste ja genau, warum er dem Baryton mit seinen gestrichenen Darmsaiten und den metallenen Resonanzsaiten je eine selbständige Cello- und Kontrabassstimme entgegensetzte. Auch in diesen Stücken besticht, wie ernst Haydn das Divertissement seines fürstlichen Auftraggebers genommen hat. Der das Baryton spielende Fürst Nikolaus I. Esterhazy wurde technisch nicht überfordert (so erklärt sich das Übergewicht von Adagio- und Moderato-Sätzen) - aber wie viel Esprit steckt doch etwa im Finalsatz des A-Dur-Oktetts Hob X:3 der scheinbar in trägem Menuetttempo daherkommt und in dem plötzlich die Naturhörner originelle Dialoge vom Zaum brechen. Ein ansprechendes, ermunterndes Haydn-Delirium eben. So ja auch das Motto der CD.